Presse: Reine Formsache
Welt am Sonntag schreibt …
Wer heutzutage ein unverwechselbares Boot besitzen möchte, sollte sich auf den alten Grundsatz besinnen: Das Design muss eine Geschichte erzählen. So wie die “Elbe 33” der Hamburger Lütje-Werft
Moderne Motorboote folgen häufig einer gestalterischen Vorgabe, die dem Zeitgeist angepasst ist. Offenbar wünschen die Kunden heute geschwungene, runde Formen oder besonders markante Linien. Das hat zu einer gewissen Verwechselbarkeit der Yachten geführt, zu der wohl auch rechnergestützte Entwürfe, die Visualisierung vorab in Renderings und der computergesteuerte Formenbau per CNC-Fräse beigetragen hat. Durch dieses Vorgehen ist es möglich, rasch auf Trends einzugehen.
Angesichts gestalterischer Beliebigkeit besinnt sich wiederum manch anderer Bootsbauer gern auf bewährte Formen aus einer Zeit, als Boote Ergebnis einer langen, aus der Praxis gewonnenen Entwicklung waren. Das erklärt die seit zwei Jahrzehnten anhaltende Retrowelle im Bootsbau. Sie ist auf Eignerseite getragen von der Idee, gern ein schönes, unverwechselbares Boot zu besitzen. Eine solche Traum-Yacht kann auch gern so wirken, als sei sie von gestern. Das Gefährt soll durch sein Design eine Geschichte erzählen und auch in einigen Jahren noch gefallen.
Seit sich Günther Lütje 1956 am ehemaligen Hamburger Holzhafen mit einem Betrieb zum Bau von Motorbooten selbstständig gemacht hat, ist die Werft durch Kleinserien oder Sonderanfertigungen bekannt. In den 90er-Jahren, als die Retrowelle mit Lobsterbooten aus den USA (Link: http://www.welt.de/themen/usa-reisen/) zu uns schwappte, baute sein Sohn Thomas den sogenannten Classic Coaster. Ein Boot mit Übernachtungsoption für schöne Stunden auf dem Wasser. Lütjes dunkelblaue, dunkelgrüne oder schwarze Rümpfe, die mit ihrer kühn ausgekragten Vorschiffspartie und ansehnlich zum Deck hin gerundeten Hecks den Fischerbooten der US-Ostküste ähnelten, waren und sind nicht zu übersehen.
Doch wozu der Tradition der fernen Küste Neuenglands hinterhertischlern, wenn es hierzulande und in Skandinavien eine ansehnliche und beinahe vergessene Geschichte heimischer Barkassen und Pinassen gibt? Diese einst in jedem Hafen nordischer Gewässer und natürlich auch in den weitverzweigten Elbarmen, Fleeten und Kanälen der Hansestadt üblichen Wassertaxis und -busse waren praktisch: Mit ihrer hohen Bugpartie (im Fachjargon Back genannt) warfen sie bei unwirtlichen Bedingungen vorne das kabbelige Hafenwasser beiseite. Auch boten sie den seinerzeit klobigen und schweren Motoren viel Platz. Die hatten damals das Format eines Heizkessels für ein Einfamilienhaus und mussten jederzeit ringsum für den Fachmann mit einem Ölkännchen oder Werkzeug zugänglich sein.
“Mein Vater hatte mal so eine Barkasse, und ich erinnere, wie der Motor das gesamte Vorschiff einnahm”, sagt Lütje. Die angehobene Bugpartie des sogenannten Backdeckers ging in einen ringsum geschützten Steuerstand mit überdachtem Fahrgastraum für die Passagiere über. Die Deckskante war mit einem charmanten Schwung nach achtern hinabgeführt. Die Barkassen waren robuste Allrounder, erreichten als Verdränger aber bald ihre Endgeschwindigkeit. Auch neigten ihre langen Rümpfe mit unten herum rundem Querschnitt bei Wellen quer zur Fahrtrichtung entsetzlich zum Schaukeln.
So ein Boot haben Thomas Lütje, sein Nachfolger Jan Hendrik Böhm und seine Kollegen auch gebaut, mit einigen Verbesserungen natürlich. Der Motor, ein kompakter Volvo- Fünfzylinder, ist achtern untergebracht. Da bleibt das gesamte Vorschiff für die Kajüte mit einem WC-Raum steuerbord, einem Doppelbett in der Bugspitze und einer Küchenzeile an der linken, der Backbordseite. Der 200-PS-Diesel bringt das Boot mit 12 bis 16 Knoten Reisetempo zum Gleiten, und bei Vollgas mit 24 Knoten (gut 44 km/h) flott voran. Mit hochgeklapptem Z-Antrieb lässt sich der ohnehin geringe Tiefgang von 80 Zentimetern nochmals reduzieren. So bleiben idyllische und geschützte Liegeplätze zugänglich.
Auch am Rumpf hat sich viel getan: Der kantige anstelle des einst üblichen abgerundeten Übergangs von der Bordwandseite zum Bootsboden hebt das Boot früher auf die Bugwelle. Zugleich lässt die Kante das Boot weitaus weniger schaukeln. Denn so schön die Nostalgie ist: Ein neues Boot muss schon praktisch und angenehm zu fahren sein.
Gezeichnet wurde die “Elbe 33” von den Bremerhavener Konstrukteuren Judel/Vrolijk & Co. Diese Adresse ist für schnelle Regatta-Segelyachten bekannt, macht aber zunehmend mit Motorbooten von sich reden. Bereits die Classic Coaster waren Judel/Vrolijk-Entwürfe. Wenn man die “Elbe 33” auf dem Gewässer der Hansestadt sieht, etwa zwischen den roten Ziegeln in einem Fleet der Speicherstadt oder vor den Landungsbrücken, meint man, das schlichte weiße Boot wäre aus dem Sepia der 20er-Jahre in die Gegenwart getuckert. Dabei wurde es erst im Herbst fertig und und ist nun auf der “Boot” zu sehen.
Die Ausstattung des Boots mit maronenbraunem Mahagoni, naturbelassenem Teak und silbernen Beschlägen, die Farbwahl des Wasserpasses, die zur roten Gösch an der Bugspitze mit dem Wappen der Hansestadt passt, macht den Neubau zu einem stilsicheren maritimen Gruß aus der Hansestadt.
Passend zur nostalgischen Note ist das Boot mit weißer Verkleidung und glänzend lackiertem Mahagoni ausgebaut. Die Lederpolster sind farblich auf das nach und nach ergrauende Teakdeck abgestimmt. Die Beschläge aus glänzend poliertem Niro passen zur dezenten Instrumentierung des Steuerstands. Die kleinen LED-Positionslaternen bemerkt man erst, wenn sie eingeschaltet sind. Ebenso funktional sind die Lampen von Cantalupi unter Deck und die Armaturen von Dornbracht. Man muss sich schon eine Weile mit Schiffsdesign beschäftigen, um ein Boot so stilsicher auszustatten wie diese noble Barkasse für die kleine Flucht ins Wochenende. Demnächst soll mit der “Elbe 28” eine kleine Schwester folgen.
Text von Erdmann Braschos
Quelle: 27.01.13 – Welt am Sonntag